Naturwissenschaftliche Bildung im Kindergarten © Finken-Verlag · www.finken.de 7 der Einrichtung durchgeführt werden: Ein Teelicht erlischt beispielsweise auch im November, wenn man ein Glas darüberstülpt. Die Phänomene der unbelebten Natur können – so oft das Kind es möchte – wiederholt werden, was bei einem biologischen Phänomen naturgemäß nicht gelingt: Gerade dann, wenn das Kind von dem unerwarteten Ausgang oder dem Verlauf eines Experiments fasziniert ist, kommt der Wunsch auf, dieses zu wiederholen, es zu variieren und im eigenen Rhythmus Erfahrungen über das Phänomen zu sammeln. Während beispielsweise beliebig viele Zuckerwürfel in Wasser bei unterschiedlicher Temperatur gelöst werden können, um den Einfluss von Temperatur auf die Lösungsgeschwindigkeit zu beobachten, kann im Frühjahr eine Tulpe nur ein einziges Mal aus einer Zwiebel wachsen. Phänomene der unbelebten Natur bieten dem Kind die Gelegenheit, selbst zu experimentieren, während im biologischen Bereich das Kind häufig in die Rolle des Beobachters gedrängt wird. Die Färbung der Blätter im Herbst bietet dem Kind kaum Anlass zum Tun, die Durchführung eines physikalischen oder chemischen Experiments ist dagegen voll von Handlungsgelegenheiten. Phänomene der unbelebten Natur sind oftmals leichter kindgerecht zu deuten als die der belebten Natur, weil die Ursachen für den Verlauf des chemischen oder physikalischen Experiments auf nur wenige Naturgesetze zurückzuführen sind, während in der Biologie oftmals viele Einflüsse gleichzeitig wirken. Beispielsweise ist das Erlöschen einer Kerze durch Luftentzug leicht so zu deuten, dass die Kerze zum Brennen Luft benötigt. Die Metamorphose einer Raupe in einen Schmetterling ist dagegen deutlich schwieriger vermittelbar. Ein letztes Argument für eine frühzeitige Vermittlung der Phänomene der unbelebten Natur wurde schon zuvor angesprochen. Die belebte Natur und die unbelebte Natur gehören zusammen und viele Phänomene der unbelebten Natur machen erst die Lebensformen, die wir in der belebten Natur vorfinden, möglich: So ist beispielsweise das unterschiedliche Lösungsverhalten von Salz und Zucker für den menschlichen Organismus von großer Bedeutung (siehe Seite 17) und es ließen sich viele weitere Beispiele finden. Sind Themen der unbelebten Natur für Kindergartenkinder nicht viel zu schwierig? Über lange Zeit hinweg wurde das naturwissenschaftliche Interesse von Kindern im Kindergartenalter nicht wissenschaftlich untersucht, denn man ging davon aus, dass kleine Kinder noch nicht logisch denken könnten und daher für naturwissenschaftliche Deutungen noch nicht offen wären. Diese Annahme ging auf empirische Untersuchungsergebnisse von Jean Piaget (1896–1980) zurück, von denen man annahm, dass sie auch heute noch Gültigkeit hätten. Dabei wurde offensichtlich die große Resonanz naturwissenschaftlicher Kindersendungen gerade bei den 5- und 6-Jährigen völlig übersehen. Studien zeigen, dass Wissenschaftssendungen bei Kindern in der Beliebtheit nach Zeichentrickfilmen bereits Platz zwei einnehmen. Wie ist das möglich, wenn ihnen das Verständnis für die naturwissenschaftlichen Erklärungen fehlen sollte?
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