Mein REF! Impulse und Inspirationen fürs Referendariat
An der Tür zu meiner neuen Klasse steht: „Die Raben der 2b, Herzlich willkommen!“ So willkommen fühle ich mich noch nicht Erst seit sechs Monaten bin ich Referendarin an dieser Schule und soll nun plötzlich die Klassenleitung übernehmen wegen Schwangerschaft meiner Mentorin Als zukünftige Musiklehrerin bin ich vollkommen überfordert, möchte aber die Schule nicht hängen lassen, in der ich mich sonst sehr wohl fühle Classroom Management, Umgang mit Heterogenität, Inklusion, Leistungsbewertung, Chancen- gleichheit, Kinder aus bildungsfernen Haushalten – mit all dem habe ich mich intensiv im Studium beschäftigt, und nun wird mein Idealismus der künstlerischen Fächer auf die Probe gestellt Und: Ich werde auf die Probe gestellt, stand ich doch bisher nur wenig allein vor dieser Klasse Mir zieht sich der Brustkorb zusammen, ich ziehe die Schultern hoch und denke: ,Jetzt los, zeig, dass Du das kannst!‘ Bevor ich die Klinke runterdrücke, erinnere ich mich noch an das Seminar „Kommunikatives Bewegen“ an der Musikhochschule: Der Körper lügt nicht, spricht seine eigene Sprache, aber er lässt sich beraten Also: Schultern runter – flexibel in den Beinen – Rückhalt spüren – tief in den Bauch atmen -- mehrfach kräftig „wwwwwww“ und „brrrrrr“ mit langem Atem und den Lippen – … schon setzt die lockere Haltung ein Ich sende mit meinem Oberkörper, den ich aufrichte – und jetzt trete ich ein in die Lautstärke meiner neuen zweiten Klasse Der „Flüsterfuchs“ am Ende meines hochgestreckten Armes wird nicht wahrgenommen, sieht aber von da oben ein wildes Treiben ,Immer dieselben Pappen heimer!‘, denke ich und bleibe so lange stehen, bis ich wahrgenommen werde Fragende Gesichter Ich klatsche mehrere Rhythmus-Patterns, die Kinder klatschen nach Dieses Ritual zumindest hatte ich schon etabliert, und es bringt die Kinder etwas zur Ruhe Wir singen den Guten Morgen-Swing, den ich auf dem Klavier begleite Wir hatten sogar schon ein paar Schritte dafür und das Schnipsen eingeübt Die Kinder kommen schon leicht ins Groo- ven und singen die deutsche und die eng lische Strophe lautmalerisch hintereinander Leonardo, der sich sonst kaum an Regeln hält, singt ganz vorn mit und motiviert auch Frieda, die sich kaum traut, laut mitzusingen Er lacht sie an, der Funke springt über Die Kinder wollen den Swing ein zweites Mal singen Ich lasse es laufen Dann mache ich daraus eine Art Quiz, spiele auf dem Klavier, und die Kinder raten und singen einzeln dort weiter, wo ich aufgehört habe Alle Kinder sind mit im Boot Emily schlägt vor, dass man das ja umgedreht machen könnte: Ein Kind singt einen kurzen Teil vor, und ein anderes „Hauptsache Nebenfach“ oder: Was künstlerische Fächer uns geben können von Jessica Büttel 54 ©Finken-Verlag · www.finken.de
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