10 © Finken-Verlag · www.finken.de Die Interlanguagehypothese beruht auf der Annahme, dass mit dem Kontakt zur deutschen Sprache verschiedene Erwerbs- bzw. Lernanforderungen verbunden sind, die das Kind konstruktiv bewältigt. Daraus hervor geht die Bezeichnung „Lernersprache“, die sich auf Selinker (1972) zurückführen lässt und die ein Stadium bezeichnet, in dem sich das Kind zwischen der Erst- und der Zweitsprache befindet. Das Kind realisiert dabei sowohl sprachliche Formen aus der Erstsprache als auch Formen aus der Zielsprache Deutsch. Darüber hinaus bildet es aber auch Sprachformen, die sich weder auf seine erste noch auf seine zweite Sprache zurückführen lassen. „Demnach sind Lerner(innen)sprachen eigenständige Systeme mit individueller Entwicklungsdynamik.“ (Wildemann 2015, S. 64) Die lernersprachlichen Strukturen werden schließlich bei anhaltendem sprachlichem Input in der Zweitsprache zunehmend aufgegeben. Um zu erkennen, ob Kinder sich in ihrem Zweitspracherwerbsprozess in einem solchen Zwischenstadium befinden, unterscheidet Apeltauer (2001, S. 681) vier Fehlerkategorien: • Interferenzfehler als Transferfehler, bei denen eine Übertragung (Transfer) von Strukturen aus der Erstsprache in die Zweitsprache stattfindet. Hierbei handelt es sich um interlinguale Fehler, z. B. im Satzbau. (Morgen ich komme nicht.) • Vereinfachungen bei der Wortbildung, (z. B. fallen statt herunterfallen) • Übergeneralisierungen, wie sie auch beim Erstspracherwerb vorkommen, z. B. bei der Pluralbildung (Stuhls statt Stühle) • entwicklungsbedingte (intralinguale) Fehler, die es auch im Erstspracherwerb gibt, z. B. beim Partizip Perfekt (ich habe getrinkt) Das Besondere an der Interlanguage-Hypothese ist die Annahme, dass die zweitsprachliche Entwicklung dynamisch und progressiv verläuft. Kinder mit Deutsch als Zweitsprache werden folglich als aktiv Lernende betrachtet, die sich im Prozess des Zweitspracherwerbs kontinuierlich weiterentwickeln. Das ist für den Anfangsunterricht bedeutsam, z. B. wenn man den aktuellen Sprachstand in der Zweitsprache erhebt. Hier genügt eine einmalige Erhebung nicht, vielmehr müssen die sprachlichen Fähigkeiten in diagnostischen Schleifen erfasst werden, um eine Lernentwicklung feststellen zu können. Bedingungsgefüge des Zweitspracherwerbs Grundlage aller Erklärungen zum Zweitspracherwerb ist die Annahme eines Bedingungsgefüges, dem der Zweitspracherwerb unterliegt. Dieses besteht aus drei relevanten Größen (siehe dazu Grießhaber 2010, S. 128): 1. den Sprachen, also der Erst- und der Zweitsprache 2. den mentalen Ressourcen im Kopf des Lerners 3. den kommunikativen Bedingungen und Bedürfnissen des Lerners. Die verschiedenen Hypothesen heben jeweils unterschiedliche Zusammenhänge in diesem Bedingungsgefüge hervor, wie beispielsweise die Kontrastivhypothese vor allem den Kontrast zwischen den beiden Sprachen in den Blick nimmt. Festhalten lässt sich, dass einzelne Aspekte in den Hypothesen zutreffen, jedoch keine der Hypothesen für sich allein genommen ausreicht, um den Zweitspracherwerb zu erklären. Vielmehr gibt es weitere Einflussfaktoren, die gerade für das schulische Lernen von Relevanz sind. Dazu gehören die Motivation, Fähigkeiten (wie Intelligenz, Interlanguage Vier Fehlerkategorien Weitere Einflussfaktoren
RkJQdWJsaXNoZXIy ODYxNDcw